Die wichtigste Frage für Innovation: Warum?
Ich erlebe in der täglichen Praxis immer wieder, dass eine der besten Hilfen, die ich als Innovationsberater geben kann, die richtige Frage an der richtigen Stelle ist. Und die wichtigste dieser Fragen ist eine ganz einfache: Warum?
„Warum ist Oma kleiner als Papa, obwohl sie doch schon viel älter ist?“
Nicht umsonst fürchten alle Eltern die Phase, in der die Kinder scheinbar nichts anderes zu tun haben, als ständig und überall alles zu hinterfragen. Das eigene Wissen, die eigene Geduld und die Bereitschaft/Fähigkeit, Dinge so darzustellen, dass selbst ein Kleinkind sie versteht, geraten viel schneller an ihre Grenzen, als einem lieb ist. Wie oft erwischt man sich dann bei der Totschlagantwort? „Weil das eben so ist!“ bzw.: „Weil ich das gesagt habe!“ beenden die Diskussion.
Klar, irgendwo muss man eine Grenze ziehen. Weder dem Kind, noch einem selbst ist geholfen, wenn man alle Fragen versucht, in ganzer Tiefe zu beantworten: „Man könnte nicht von seinem Bett bis zur Haustür kommen, wenn man für alles anhalten würde, um es zu hinterfragen“ schreibt Paul Graham in seinem Essay „Wie man auf Startup-Ideen kommt.“ Aber dieses Hinnehmen des Gegebenen, was einem durch den Alltag hilft und was ein Kind in der Warum-Phase noch nicht gelernt hat, hindert uns auch daran, etwas besser zu machen, als bislang. Die Energie des Kindes, alles zu hinterfragen, muss ins Unternehmen übertragen werden, wenn Sie es mit dem Thema Innovation ernst meinen.
The best chief innovation officer would be a 6 year old incessantly asking “why” and “what if” (Tom Goodwin)
Auf deutsch:
Der beste Innovationsmanager wäre ein sechsjähriges Kind, das unablässig „warum“ und „was wäre, wenn“ fragt.
Dass das Hinterfragen von Gegebenem die Ideen sprudeln lässt, kann man ebenfalls an Kindern gut beobachten, auch an meinen eigenen (vor allem, als sie noch kleiner waren). Wenn ich zu etwas „nein“ gesagt habe, wurde das oft nicht als gegeben hingenommen, sondern mit „warum?“ hinterfragt. Und ganz oft kam dann nach kurzer Bedenkzeit: „Papa, ich hab eine gute Idee …“ und dann ein Vorschlag, wie meine und die Kinder-Interessen unter einen Hut zu kriegen wären. Gut, die Vorschläge berücksichtigten meist immer noch zu viele Interessen der Kinder und zu wenige von meinen, aber das ließ sich mit weiteren „warum?“ oft recht schnell in eine für alle Beteiligten tragbare Lösung entwickeln.
„Warum“ hat Methode
Das Hinterfragen von Gegebenheiten kann man auch systematisch angehen, dann spricht man von der 5-Warum-Methode oder auch kurz 5W-Methode. Dabei wird das gezielte Hinterfragens so oft wiederholt, bis man bei einem Kern der Problemstellung angekommen ist. Auf jeder Ebene werden Ideen entstehen, was man besser machen kann, wenn man erst mal durchschaut hat, was die zugrunde liegende Ursache ist.
Nehmen wir ein Fantasie-Beispiel:
Warum macht das Café minus?
Es kommen zu wenige Gäste und die, die kommen, geben wenig aus.
Warum geben die Gäste wenig aus?
Die meisten Gäste sind Rentner*innen, die in der Nähe wohnen, die haben meist nicht viel Geld übrig.
Warum sind die meisten Gäste Rentner*innen?
Das Café liegt in einer Wohngegend ohne viel Laufkundschaft. Die meisten Gäste wohnen in der Nähe und das sind überwiegend Rentner*innen, weil es viele kleinere und günstigere Wohnungen in der Nähe gibt.
Warum wurde das Café gerade hier eröffnet?
Die Miete war sehr günstig. Da hätten wir vielleicht misstrauisch werden können.
Warum zieht das Café dann nicht um?
Ich schrieb oben, dass die Methode zu einem Kern des Problems führen kann. Wie man am Beispiel sieht, bieten die meisten Antworten mehrere Richtungen an, in die man weiter bohren kann. Die zweite Frage im Beispiel hätte genauso gut auf die Anzahl der Gäste zielen können, wie auf deren Umsatz. Die meisten Probleme haben mehrere Ursachen oder zumindest mehrere Dimensionen, in die man tiefer bohren kann.
Und natürlich gibt es auch für Lösungsmöglichkeiten auf jeder Ebene meist mehrere Ansätze. Ist der Kern des Problems wirklich die Lage des Cafés oder vielleicht doch das Angebot, das Marketing oder die Preisgestaltung? Gab es vielleicht noch andere Argumente für genau diesen Standort, als den günstigen Preis?
Die fünf im Namen der Methode kommt von der Erfahrung, dass typischerweise ca. fünf Ebenen den Nachbohrens ausreichen, um zu einer Ursache zu kommen. Das würde ich aber nicht dogmatisch angehen, genau wie das eigentliche Fragewort. Wenn sich eine offensichtliche Nachfrage ergibt, die nicht mit „warum …“ beginnt, passt die natürlich auch in die Methode.
Noch ein Beispiel? Nehmen wir wieder meine Kinder, jetzt aber im aktuellen Teenager-Alter (realistischer Dialog, aber mit ausgedachten Details):
Kinder: „Papa, können wir morgen ins Kino?“
Ich: „Ich denke nicht.“
Kinder: „Warum denn nicht?“
Ich: „Wir werden das zeitlich nicht schaffen.“
Kinder: „Warum?“
Ich: „Na ihr habt bis X Uhr Schule und ich hab abends um Y Uhr noch einen Termin, dazwischen wird die Zeit nicht reichen.“
Kinder: „Na toll, kannst du den Termin nicht verschieben?“
Ich: „Diesen leider nicht.“
Kinder: „Schade. Aber was ist mit Übermorgen?
Ich: „Das sollte klappen!“
Im Beispiel (das ich natürlich extra so formuliert habe) enthalten nur die ersten zwei Warum-Fragen explizit dieses Fragewort. Aber auch in der Frage „kannst du den Termin nicht verschieben?“ steckt eigentlich eine Warum-Frage („Warum kannst du den Termin nicht verschieben?“), ohne dass das Fragewort darin vorkommt. Und ich habe sie mit einer Variante des Totschlagarguments „Weil das so ist“ beantwortet.1
Aber damit waren wir auch beim Kern des Problems: Das gewünschte Zeitfenster passte nicht zu den Zeitplänen aller Beteiligten. Und so ging die nächste Frage in Richtung Lösungssuche, eigentlich auch eine versteckte Warum-Frage: „Warum finden wir nicht eine andere Zeit fürs Kino?“
Mit „Warum“ bis zum Kern
Es gibt verschiedene Szenarien, was am Ende herauskommt, wenn man unablässig mit „Warum“ tiefer bohrt.
Es kann passieren, dass man irgendwann in einer Sackgasse steckt, in der die nächste Warum-Frage nur noch mit „Weiß nicht“ oder „Ist halt so“ beantwortet werden kann. Dann ist man entweder bei einem Axiom angekommen, also einem so fundamentalen Grundsatz, dass man den als gegeben hinnehmen muss. Das wäre eigentlich nur für Mathematiker und Philosophen akzeptabel. Vielleicht ist man auch auf eine ungelöste Frage gestoßen, die weitere Nachforschungen erfordert. Oder man ist an die Grenze des Handlungsspielraums gestoßen, der von Vorgesetzten, gesetzlichen Rahmenbedingungen – oder eben auch Eltern – gesetzt wurde. Wenn man also nicht mehr tiefer graben kann, beginnt man auf dieser Ebene mit der Lösungssuche.
Es kann passieren, dass die Fragen anfangen, sich im Kreis zu drehen, dann kann ein frischer Impuls helfen, eine Person von außerhalb, oder einfach eine Pause oder eine andere Kreativitätstechnik, um die Gedanken in neue Bahnen zu lenken.
Es kann ein Aha-Erlebnis geben, wenn man tatsächlich auf den Kern der Probleme stößt. Aber genauso wenig wie ein Aha-Erlebnis eine Garantie ist, dass man den wahren Kern gefunden hat (es kann mehrere geben, es kann ein scheinbare Ursache sein) ist das Fehlen eines Aha-Erlebnisses ein Beleg, nicht vorangekommen zu sein. Die meisten Probleme haben komplexe Ursachen und viele lassen sich nur teilweise lösen. Da ist ein Aha-Erlebnis ein Glücksfall, nicht die Norm.
Und schließlich kann es einen ganz organischen Übergang von der Suche nach Problemursachen zur Suche nach Lösungen geben. Auch hier muss man ein bisschen aufpassen, nicht zu früh mit dem Nachbohren aufzuhören. Auch deshalb haben sich die fünf Ebenen des Nachbohrens etabliert. Sie verhindern ein Verzetteln im Urschleim („Warum ist die Lichtgeschwindigkeit konstant,“ wenn es eigentlich um die Pünktlichkeit im Eisenbahnfernverkehr geht), aber auch einen Abbruch der tieferen Suche schon bei oberflächlichen Symptomen („Lass uns einfach mehr Menschen abschieben,“ wenn eigentlich nach Gründen für den Vertrauensverlust in die Politik gesucht wird).
Mit „Warum“ zur Idee
5-Warum-Methode lässt sich auch zur Bewertung von Ideen anwenden. Ein paar Beispielfragen:
Warum sollten unsere Kund*innen das wollen?
Warum sollten sie dafür mehr Geld ausgeben, als bisher?
Warum würden Kund*innen ausgerechnet zu uns kommen dafür?
Warum machen Wettbewerberin X oder Konkurrent Y das noch nicht?
Warum sollten wir ausgerechnet diese Idee umsetzen und nicht eine andere?
Das klingt, als würde man eine Idee schlecht reden wollen, aber es kommt auf die Antworten an. Wenn diese Fragen sich nicht gut beantworten lassen, ist die Idee wahrscheinlich noch nicht gut genug. Mit weiterem Bohren und den Antworten auf die Fragen wird die Idee dann nach und nach besser – oder begründet verworfen, bevor unnötig Ressourcen in ein zum Scheitern verurteiltes Projekt geflossen sind.
Warum endet der Artikel hier nun abrupt? Vielleicht will ich ja jetzt mit meinen Kindern ins Kino? 😉
Fußnoten:
Und natürlich hätten sich hier noch ein paar Warum-Fragen anschließen können, aber meine Kinder sind inzwischen alt genug, mir das zu glauben 🙂